Wann wird die Yogablase platzen?

Der Sommer hat seinen Höhepunkt erreicht, langsam trudeln die Menschen wieder aus ihren Sommerurlauben ein, und auch ich widme mich wieder vermehrt meinen yogischen Pflichten –
ich erarbeite neue Stundenbilder fürs Kinderyoga, tüftle an Stunden für die Senior/innen und an weiteren Ideen für Workshops mit dem Yogawheel, und bin rundum zufrieden.
Mein Email-Postfach zeigt mir, dass auch andere Yogis und Yoginis wieder aktiv werden, dass es neue Kurse und Workshops gibt –
und zu meiner Überraschung auch massenhaft Ausbildungen.

SUP-Yogalehrerin könnt ich werden, extra Kinder-Yogalehrerin und Wheel-Yogalehrerin, natürlich werden auch sämtliche Yoga-Richtungen angeboten, die man sich nur vorstellen kann, außerdem Ausbildungen zur Meditationstrainerin, Tier-Yogalehrerin wurde mir nahegelegt, reine Pranayama-Lehrausbildungen gibt es, Yoga-Lehrgänge für die Psychohygiene, eigene Ausbildungen für Yoga und (man setze ein, was die Fantasie so hergibt), natürlich auch Ausbildungen zu allen Yoga-Stilen, die jemand selbst erdacht hat  –
und mit Sicherheit noch etliches mehr.

Jede dieser Ausbildungen kostet eine Stange Geld, und alle Ausbildungen haben eines gemeinsam:

Sie werfen pro Lehrgang um die zwanzig Yogalehrer/innen auf den Markt, von denen etwa die Hälfte auch wirklich unterrichten möchte – pro Ausbildungslehrgang, nicht pro Jahr, wohl gemerkt.

Viele dieser Menschen, die in Salzburg ihre Ausbildung gemacht haben, durfte ich im Co-WorkingStudio kennenlernen, weil sie einen Ort suchen, an dem sie unterrichten können –
sich als Anfänger/in in einem etablierten Studio einzumieten, ist oft kaum leistbar, vor allem, wenn man noch keinen festen Kund/innenstamm hat.

Nachdem ich aber immer noch Nachrichten von frisch gebackenen Yogalehrer/innen bekomme, die sich bei mir einmieten möchten (obwohl es das Co-Working-Studio nicht mehr gibt, man findet es aber nach wie vor im Internet), und nachdem sich die Zahl der angebotenen Ausbildungen in den letzten Monaten scheinbar vervielfacht hat, frag ich mich:
Wann wird die Yogablase platzen?

In einem Artikel hab ich letztens gelesen, dass Yogastudios heutzutage Ausbildungslehrgänge brauchen, um zu überleben, weil die wöchentlichen Kund/innen ausbleiben –
doch da frag ich mich:
Wenn allein in Salzburg jedes Jahr etwa 60 neue Yogalehrer/innen auf den Markt drängen, von denen die Hälfte unterrichten möchte, wie lange kann das weitergehen?
Irgendwann kommt auf jeden Menschen in Salzburg ein/e Yogalehrer/in, es ist allerdings keineswegs so, dass alle Einwohner/innen Yoga praktizieren wollen, und viele der frisch ausgebildeten Yogalehrer/innen (wie ich etwa) besuchen dann auch keine Kurse mehr, weil sie selbst unterrichten oder hauptsächlich alleine yogieren …
machen wir uns mit diesem System also selber den Markt kaputt?

Ich für meinen Teil bin sehr froh, im Kinder- und Senior/innen-Yoga eine tolle Aufgabe gefunden zu haben und nicht täglich um Kund/innen buhlen zu müssen, weil ich weiß, wie schwer das ist und wie furchtbar es sein kann, wenn die Yogi/nis ausbleiben –
wie soll man Fremde dazu überreden, zum Yoga zu kommen, wenn es nicht mal im eigenen Freundeskreis einfach ist?
Ich freu mich natürlich wieder auf meine wöchentlichen Kurse und Workshops, aber ich weiß auch:
Das Angebot an Yogalehrenden ist unglaublich riesig, fast unüberschaubar, dabei ist Salzburg gar nicht besonders groß –
und es werden nicht weniger, ganz im Gegenteil.

Ich versteh ja beide Seiten:
einerseits die Studios, die Geld verdienen wollen/müssen, andererseits die Menschen, die diese Ausbildungen besuchen –
aber ich weiß auch, dass viele Menschen die Ausbildung für sich selbst machen, weil sie eigentlich gar nicht unterrichten möchten.
Wäre es nicht besser, Lehrgangsabschlüsse aufzuteilen in ‚Lehrzertifikat‚ und ‚Erfolgreich teilgenommen‚?
Jemand wie ich, der das Teacher Training anfangs für sich machen möchte und dann doch ins Unterrichten hineinfällt, weil der Weg eben dorthin führt, der könnte ja die Prüfung nachmachen –

denn auch wenn es in Yogakreisen oft als unyogisch gilt, Prüfungen abzulegen:
Wenn es so viele Menschen gibt, die Yoga unterrichten möchten, dann sollte so eine Ausbildung auch sicherstellen, dass die Teilnehmer/innen das danach auch wirklich können, dass sie selbst Yoga praktizieren, dass sie sich klar darüber sind, dass sie mit Menschen und deren Gesundheit arbeiten, eine verantwortungsvolle Aufgabe, die viel Wissen erfordert (was ich immer wieder bemerke, wenn ich vor Yogierenden stehe und sehe: Die meisten sind hier, weil sie ein gesundheitliches Problem haben, kaum jemand kommt, weil es ihm oder ihr so gut geht).

Natürlich eignet man sich dieses Wissen aus Büchern, in Workshops und Weiterbildungen an, aber auch und vor allem in der eigenen Praxis. Wer nicht täglich auf der heimischen Matte steht, dem helfen auch Dutzende Ausbildungen nicht weiter –
die man sich vor allem auch kaum leisten kann, wenn die Kund/innen ausbleiben …
ein Teufelskreis.

Und die eigentliche Frage bleibt weiterhin:
Wann wird die Yogablase platzen?
Denn platzen wird sie, so viel steht fest –
vielleicht könnten wir dem entgegenwirken, würden wir zusammenhalten und gemeinsam Strategien entwickeln, wie und womit wir die Kund/innen ansprechen …
zum Beispiel, indem nicht jede/r Lehrende und jedes Studio alles anbietet, was es so gibt (was auch die Kund/innen verwirrt), sondern wenn sich jede/r spezialisiert und den anderen gönnt, sich ebenfalls zu spezialisieren.
Es ist vermutlich auch nicht notwendig, mit immer abgefahreneren Yoga-Ideen Kund/innen anzulocken –
auch wenn in Amerika Yoga mit Tequila, Bier, Ziegen, Seifenblasen oder bei 45 Grad boomt.

Aber eins hab ich schon gelernt:
In der Yogaphilosophie lernen wir zwar von aparigraha, einem der fünf Yamas nach Patanjali, das mit Nicht-Besitzen-Wollen, Nicht-Gierig-Sein, Unbestechlichkeit, Zufrieden sein übersetzt wird –
doch das gilt meistens nur für die anderen.

#Namaste

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Dieser Artikel wurde überarbeitet. (2019)

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16 Kommentare zu „Wann wird die Yogablase platzen?

  1. Liebe Sybille,
    Finde deine Beitrag sehr wahrhaftig und wichtig, um sich und anderen nichts vorzumachen.
    Manchmal ist es nicht so einfach, das eigene Dharam zu verwirklichen – und manchmal kommt man erst später drauf, dass das der Lebenssinn ganz woanders ist, als sich das Ego so vorgestellt hat.
    Wünsch dir viel Erfolg beim Yoga und bei deinem Unterricht!
    Namaste,
    Florian

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    1. lieber florian, vielen herzlichen dank für deine worte! <3

      das bedeutet mir sehr viel, weil ich grad bei dir sehr viel lernen konnte, genau über die themen, die "meine" sind.

      danke.

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  2. Danke liebe Sibylle für deine Gedanken!
    Natürlich kann und sollte man sich überlegen, ob man Yoga in ein Ausbildungsformat packt oder nicht. Fakt ist: Jeder kann Yoga unterrichten. Dafür braucht man keine Ausbildung! Genauso wie man nicht Klavier studieren muss um Klavierunterricht zu geben.
    Deshalb sehe ich es sogar als sehr positive Entwicklung, dass sich so viele Menschen für Yoga und eine entsprechende Ausbildung interessieren.
    Ich würde sogar noch einen Schritt weitergehen und sagen: jeder sollte sich mal ein paar Wochen seines/ihres Lebens intensiv mit dem Thema beschäftigen. Man mag von 4-Wochen Ausbildungen halten was man will, ABER sie sind Lebenstransformierend. Die Welt wäre eine andere, wenn jeder eine solche Ausbildung erleben dürfte.

    WHY and not WHAT
    Im Yoga ist es, denke ich, so wie in jedem anderen professionell ausgeführten Beruf: Wenn die Lehrerin / der Lehrer weiß WARUM er unterrichtet, entsteht etwas das ich Passion oder Feuer nennen würde. Daraus wiederum entsteht Charisma! Das ist allerdings das Resultat von jahrelanger Arbeit und keine Gnade oder Talent, wie man im Yoga oft gerne hätte.
    „WAS biete ich an oder welche Yoga-Ausbildung / Zusatzausbildung muss ich machen damit ich Geld verdiene?“ sind einfach unsinnige Fragen.
    Ich bilde selbst Yogalehrende aus und es gibt regelmäßig eine Frage die mich immer wieder erstaunt: Diese lautet: „Kommt das zur Prüfung?“
    Meine zweite Lieblingsfrage: „Wann bin ich mit der Ausbildung fertig?“ … ich halte es da wie meine liebe Kollegin Danja Lutz:
    HOFFENTLICH BIN ICH NIE MIT DER YOGA AUSBILDUNG FERTIG!

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    1. hallo und danke für deinen kommentar. :)

      ich möcht aber gern ein paar sachen dazu schreiben.

      jede/r kann yoga unterrichten? das ist falsch – und gefährlich.
      selten hab ich nur gesunde und fitte menschen in meinen stunden, jeder fehler kann da fatal sein. gerade in europa, wo yoga so boomt, sollte es nicht nur eine ausbildungspflicht, sondern auch ein unterrichtsverbot für all jene geben, die nicht wissen, was sie tun.
      und sobald jemand mit bandscheibenproblemen vor mir steht, muss ich ganz genau wissen, was ich mache. ein bissl selber zu praktizieren reicht nicht –
      nicht in unserer welt, wo menschen fast ausschließlich deshalb yoga machen, weil sie gesundheitliche oder psychische probleme haben.
      (ich weiß, wovon ich rede, da ich ein großes hüftproblem hab und deswegen ungern in yogastunden geh –
      die meisten leut haben null ahnung, was sie mit mir tun sollen, und sagen mir manchmal richtig gefährliche dinge.)

      das ist übrigens auch beim klavierspielen so: nur weil man es ein wenig spielen kann, heißt das noch lange nicht, dass man es auch unterrichten kann. sagt der pianist in meiner familie, und der muss es wissen.
      unterricht bedeutet immer: fundiertes wissen haben und weitergeben können.

      wenn jemand sein leben lang yoga lebt und praktiziert hat, ist das natürlich was anderes.
      aber wer kann das schon von sich behaupten…

      aber ja, jede/r sollte sich mal intensiv mit sich selbst beschäftigen. ob das yoga oder was ähnliches ist, ist ganz egal, glaub ich. da bin ich ganz bei dir.

      aber du schreibst ‚professionell ausgeführter beruf‘, und dass lehrer/innen wissen müssen, was sie warum tun …
      dafür braucht es fundiertes wissen. und das hat wahrlich nicht jede/r. ;)

      hahahaha, ja das stimmt, das fand ich auch lustig, dieses ‚kommt das zur prüfung?‘ und sowas. als würds nur darum gehen, die prüfung zu schaffen, und nicht, fürs leben zu lernen.
      ich muss aber gestehen:
      die, die das in meinem ytt gefragt haben, waren auch nicht die, die yoga wirklich gelebt haben –
      den unterschied sieht man. :)

      und ja:
      hoffentlich bin ich nie mit der ausbildung fertig…
      (aber ich bin halt auch eine streberin. ;) )

      einen wunderschönen tag wünsch ich dir!
      <3, danke für deine worte!

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  3. Liebe Sibylle,
    da habe ich mich wohl schlecht ausgedrückt. Ich meine können nicht im Sinne von Fähigkeit (wobei jeder Lehrer der Schüler hat auch was zu geben vermag – so regelt sich das dann ja oft von selbst mit dem „Können“) sondern von dürfen.
    Jeder der ein Youtube Video gesehen hat oder ein Buch durchgeblättert hat darf Yoga unterrichten – was ja durchaus auch vorkommt. Und so bin ich schon froh, dass viele eine Ausbildung machen.
    Alles Liebe
    Birgit

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    1. hello again, birgit!

      asooo! ja, das klar. :) das hab ich anders verstanden, verzeih!
      na dann sind wir ja komplett einer meinung. :)

      einen schönen tag wünsch ich dir!
      <3

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  4. Vielen Dank für deine Gedanken. Eine Yogalehrer-Ausbildung kann das Leben des Absolventen im positiven Sinne völlig umkrempeln – noch mehr, die Ausbildung nicht auf den körperlichen Aspekt des Yoga reduziert wird, wie es bei vielen teils überteuerten Ausbildungen leider der Fall ist. Die Auswirkungen auf alle Lebensbereiche des Studenten und in weitere Folge auch auf sein unmittelbares Umfeld können enorm sein. Und man muss erst gar nicht unterrichten, um Yoga weiter geben zu können. Will der Lehrer diese umfassende Wissenschaft über das Leben, genannt Yoga, ehrlich in seinem eigenen Leben verwirklichen, wird er dies ausstrahlen und andere automatisch anstecken – vielleicht sogar weit mehr als so mancher Yogalehrer, der zwar viele Klassen pro Woche leitet, aber die Tiefen dieser göttlichen Wissenschaft niemals ergründet hat. In diesem Sinne würde ich mir wünschen, dass möglichst viele Menschen eine gute Ausbildung belegen, um durch diese noch tiefer in diese ganzheitliche Philosophie und Praxis eintauchen zu können, und indirekt sogar einen gesellschaftlichen Bewusstseinswandel voranzutreiben. Gleichzeitig sollten die Absolventen natürlich auch darüber informiert werden, dass es ganz schwer sein wird, vom Unterricht leben zu können. Aber dieses Problem gibt es ja in vielen Genres, ob nun Sport, Kunst, alle spirituelle Berufsoptionen, u.a.

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    1. hallo thomas,
      danke für deine worte!

      ja, da hast du recht, und leider stimmt das.
      es interessiert va das geld, leider.

      die info, dass es schwer wird, hab ich bekommen –
      und es stimmt auch. mich hat das nicht abgeschreckt, manch andere schon.
      aber wie du schreibst: schwer ist es immer irgendwie. :)

      ich dank dir für deinen kommentar,
      genieß deinen tag!
      lg
      sybille

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  5. Liebe Sybille, danke für deine Gedanken!

    Ich würde nur eine kurze, aber wichtige Frage stellen. Wenn Du schreibst „wenn jemand sein leben lang yoga lebt und praktiziert hat, ist das natürlich was anderes. aber wer kann das schon von sich behaupten…“ Was verstehst Du unter „yoga zu leben und praktizieren“? Welche Aspekte der Praxis sollen ins Leben integriert werden?

    LG. Elena

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    1. hallo liebe elena.

      :) danke für deinen kommentar.

      also damit mein ich:
      jemand ist in indien mit yoga aufgewachsen, praktiziert täglich, kennt pranayama und meditation und agiert möglichst entsprechend den yamas/niyamas. vielleicht ging sogar bei einem yogi in lehre.

      dass so jemand dann kein 200h ytt braucht, um yoga zu lehren, ist klar –
      findest du nicht?

      lg
      sybille

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  6. Liebe Sibylle,

    ich denke, dass es mal ganz wichtig ist zu trennen, wer sich nur entspannen will bzw. seine Wehwechen lindern möchte und wer sich wirklich auf den Weg machen möchte Yoga zu erfahren. Das ist schon mal ein Grundproblem einer Ausbildung. Oder denken nicht die meisten, wenn nicht alle, dass Asanas, Pranayama, und vielleicht bei manchen Meditation Yoga IST? Und wer von uns kann schon behaupten wirklich mal vollkommenes Yoga (und damit meine ICH Einheit mit dem/der Göttlichen/kosmischen Energie oder wie man es auch nennen möchte) erfahren zu haben, bzw diesen Zustand halten zu können?
    Deshalb glaube ich, dass die angesprochene Yogablase früher oder später mal platzen muss, weil das ja nicht Yoga ist. Eine nötige aber natürlich auch hilfreiche Entwicklung in die richtige Richtung.

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    1. hello harald,

      ja das stimmt.
      ich hab in all meinen workshops/kursen aber niemanden getroffen, der „echtes“ yoga gesucht hat. noch nie. was soll das auch sein, „echtes“ yoga?

      insofern müsste das ytt viel mehr daraufhin abzielen, anatomie zu vermitteln, körperkunde, find ich.

      asana, pranayama und meditation ist auch yoga – oder was meinst du?
      yoga muss nicht wie in indien nur im ashram und mit guru stattfinden, denk ich.

      ich zB glaube an nix göttliches, weil ich der wissenschaft verbunden bin – yoga mach ich trotzdem. ;)
      all das esoterisch-spirituelle ist für mich nicht mehr yoga als anderes – ich brauch keine fremde kultur, um mich yogischer zu fühlen. va keine fremden götter.
      da muss yoga auch mit der zeit gehen, davon bin ich überzeugt. gerade in europa.
      weil yoga sich entwickelt – und hier bei uns andre anforderungen braucht als in indien.

      die yogablase wird platzen –
      aber für uns beide wohl aus verschiedenen gründen. :)

      danke für deine worte!

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      1. Will man die Frage, was nun „echtes“ Yoga sei, beantworten, sollte man sich am besten weniger auf seine eigene Meinung als auf jene Schriften berufen, auf Basis derer sich Yoga entwickelt hat, etwa Yoga Patanjali-, Vedanta- oder Samkhya Philosophie, Bhagavad Gita, etc. Dazu braucht man natürlich nicht nach Indien reisen.

        Angesichts dessen, dass die Mehrheit der Yogalehrer- u. Schulen mehr Gymnastik als Yoga unterrichten, erscheint mir die Diskussion über die Frage, was nun „echtes“ Yoga sei, gar nicht so unwichtig, alleine schon auf Grund der Verantwortung, die man als Lehrer gegenüber seinen Schülern pflegenn sollte.

        Hat man als Yoga-Lehrer den Anspruch, mehr als nur Gymnastik zu unterrichten und Yoga als das zu kommunizieren, was es ist, und zwar das ausgeklügelste Coaching-System, das die Menschheit über Jahrtausende entwickelt hat, reicht es nicht, dass ein ytt darauf abzielt, Anatomie, Körperkunde zu vermitteln (wie du schreibst … oder meintest du das hoffentlich ironisch?).

        Wenn ein Lehrer über das Körperliche nicht wesentlich hinausgehen möchte, sollte er seinen Schülern zumindest sagen: „Hört zu, da gibt es noch viel mehr, was euch helfen kann, mit den Herausforderungen des täglichen Lebens noch viel bewusster und besser umzugehen. Ich empfehle euch dazu Bücher. Und da sind die Yamas und Niyamas, die 5 Koshas (die dem Aspiranten darüber Aufschluss geben, was eigentlich „ganzheitlich“ bedeutet); Gunas, Geisteszustände, Stressmanagement, die Gita (die euch helfen könnte, den Sinn eures Lebens zu finden); die Yoga Sutren (durch die ihr euren Geist kennen- u. kontrollieren lernt), dein Dharma und zuguter letzt der Anfang und das Ende des Yoga: Die Annahme, das alles verbunden ist.

        Hatha Yoga, der körperliche und jüngste Teil der Yogalehre und in unserer materiellen Gesellschaft gleichzeitig der Populärste , ist deshalb entwickelt worden, um das oben genannte, also der Grund all dieser Schinderer auf der Matte, noch leichter umsetzen zu können. Doch wie viele Yoga Aspiranten wissen das? Wie viele Lehrer kommunizieren das eindringlich?

        Ich glaube, dass eine Hatha Yoga Blase dann platzen könnte, wenn es immer mehr Yogalehrer gibt, die keine Ahnung vom ursprünglichen Yoga haben, welches zeitlos ist und niemals platzen wird. Das liegt an den teils kommerziell ausgerichteten, oberflächlichen Ausbildungen (Was soll man bitte in einer überteuerten 200UE Ausbildung lernen? Wie man Asanas ansagt, und dann sind die 200UE schon vorbei?). Oder es liegt an den Lehrern selbst, die – ganz nach dem Resonanzgesetz – eben genau das suchen, sehen und kommunizieren wollen, was ihrer eigenen Resonanz und wandelbaren Weltbild entspricht. Daher gibt es viele Yogalehrer, die Gymnastik und nicht Yoga unterrichten, die Fleisch essen und gleichzeitig über Ahimsa sprechen, die über Jahre ihren Schülern beibringen, wie man eine Sequenz möglichst exakt praktiziert, ohne eindrücklich zu kommunizieren, dass die Sequenz nur ein austauschbares Mittel zum Zweck für etwas viel tiefergehendes ist.

        Yoga hat das Potential, die Gesellschaft zu wandeln – aber auch nur dann, wenn Yoga von uns Lehrern vermehrt als das kommuniziert wird, was es ist: Ein Instrument zu Erhöhung des Bewusstseins. Der körperliche Anteil ist ein Mittel zum Zweck.

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        1. hallo nochmal, lieber thomas.

          nun, wenn es nach den schriften geht, dann ist ‚echtes yoga‘ still sitzen und beinhaltet keine einzige bewegte asana. ;)
          so schreibt es patanjali doch. :) (ja, den hab ich natürlich gelesen.)
          und wenn ich davon ausgehe, dass yoga in mir schon verankert ist, auch das schreibt patanjali, dann ist yoga das, was ich draus mache. :)
          philosphie deluxe. da kann man endlos drüber nachdenken.

          nein, das meine ich nicht ironisch. natürlich nicht!
          wir leben im europa des jahres 2017. wer hier unterrichtet, muss dem rechnung tragen.
          keiner der menschen, die ich bisher unterrichten durfte, war aus spirituellen gründen beim yoga, die meisten kamen aufgrund diverser (va rücken-)leiden. wenn ich da keine fundierte anatomieausbildung habe, dafür aber super meditieren kann, bin ich im falschen job.
          (oder wäre es, würde ich spiritualität vermitteln wollen, wer kann das schon?)
          ja, ich vermittle immer auch ein bisschen grundlagen, ein bissl philosophie, zumindest ein wenig – 
          und dann widme ich mich den körpern der menschen, geplagt von bandscheibenvorfällen und dergleichen.
          zu schreiben, dass körperkunde im europa des 21. jahrhunderts nicht vorrangig ist, ist mMn fahrlässig – 

          ich selbst bin das beste beispiel dafür:
          ich kann aufgrund eines angeborenen hüftleidens ua nicht im vielgelobten meditationssitz sitzen, viele lehrer/innen haben meine probleme schon verschlimmert, weil sie meinten, ich müsse die asanas trotzdem so ausführen, wie sie vor 1000en jahren entwickelt wurden (ohne jegliche kenntnis der menschlichen anatomie, wenn man ehrlich ist).
          erst im ytt hab ich gelernt, dass es 1. gar keine uralt-asanas gibt, weil patanjali kein einziges außer sukhasana erwähnt, und dass ich alle asanas variieren kann, damit auch ich sie machen kann – und dass es trotzdem yoga ist.
          wenn jemand wie ich in meinem unterricht sitzt, ist es essentiell, dass ich weiß, was ich mit diesem menschen tun darf und was nicht, ich riskiere sonst verletzungen. das kann nicht der sinn der sache sein.

          alles andere ist spiritueller natur, ja – 
          das ist aber nicht der hauptzweck des österr. yogaunterrichts. ich würde mir auch nicht anmaßen, guru sein zu wollen – 
          wer anderen sagt, er ist ein guru … naja, nee, das hat was von sekte. nein danke.

          ich gehe auf die bedürfnisse der menschen ein –
          und die liegen zu 90% nicht im erwecken von samadhi.

          ich denke, die blase wird vor allem dann platzen, wenn es zu viele leut gibt, die unterrichten, und weder von der einen noch von der andren seite ahnung haben.
          das ist immer schlecht, egal wie man es dreht oder wendet. eine gute mischung, das ist anzustreben.

          dennoch möchte ich hier eines klarstellen:
          meine 200h-ausbildung war super. natürlich muss ich weiterlernen, das müsste ich aber ohnehin, auch nach 500h oder 5000.
          aber dem negativen klang deiner worte möchte ich entgegenstellen:
          es schwingt schon eine gehörige portion arroganz in deinen worten mit.
          nur weil du erleuchtet sein möchtest und glaubst, yoga darf nur in erleuchtung münden, ist das noch lang nicht der weg, den alle gehen müssen.
          und das mit dem fleisch essen ist sowieso quatsch:
          nirgends steht, dass man keins essen darf – ayurveda empfiehlt es sogar explizit. das ist auch so ein yogisches arroganz-ding, das ich ganz schrecklich finde.
          damit urteilst du nämlich über andere –
          und genau das solltest du im yoga doch vermeiden, nicht wahr? ;)

          wir müssen keine neue kultur nach österreich bringen, yoga darf sich entwickeln. bei uns ist es eben ein bewegter weg, innere ruhe zu finden, dennoch ist es kein schlechter weg.
          jede/r darf für sich entscheiden, wie weit er oder sie den weg gehen möchte –
          dabei sollten wir aber eines nicht vergessen:
          vieles von dem, was manche yogalehrende unter ‚echtem yoga‘ verstehen, basiert auf …
          ich weiß eigentlich gar nicht, worauf.

          vegan leben zu müssen? steht zB nirgends.
          ahimsa kann auch anders gedeutet werden, offensichtlich, denn ayurveda tut das ja.
          und die asanas?
          stammen nicht von patanjali, auf den sich so viele berufen.
          yoga ist also ein sammelsurium an verschiedensten auslegungen, das wir vor allem nicht allzu ernst auslegen sollten, glaube ich.
          ich freu mich, wenn menschen yoga probieren, ohne ihnen religiöse inhalte vermitteln zu wollen –
          ich bin weder guru noch spirituelle führung, und das suchen viele menschen auch gar nicht.
          ich kann daran nichts schlechtes finden.

          was ich aber schon schlecht finde, und das ist mAn ein großer teil des problems, ist die arroganz vieler yogamenschen:
          nur veganer/innen sind echte yogi/nis, asanas sind nur gymnastik, yoga muss immer zu erhöhung des bewusstseins führen (‚und ich kann dir das lernen, weil ich bin ja schon erleuchtet‘).
          ehrlich?
          nein danke, das ist nicht mein yoga.
          mein yoga ist frei von dogmen, frei von urteilen, frei von mir-besser-vorkommen.
          mein yoga ist das yoga, das ich in den menschen und mir selbst spüre –
          und das ist mal spiritueller, mal weniger.

          und das ist genau richtig so, da bin ich sicher.

          happy woche!

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  7. Liebe Sybille!

    Eigentlich habe ich nur einen Blick auf die aktuelle Yogaszene geworfen, ohne dabei auf deine Person verweisen zu wollen. Ich kenne Dich ja nicht. Bitte verzeih, dass du dich davon persönlich berührt fühlst und meine Worte scheinbar arrogant und negativ auf dich gewirkt haben.

    Eine konkrete Interpretation von spirituellen Schriften wie die eines Patanjali ist immer gefährlich. Ich weiß nicht, auf welches einzelnes Sutra du deine Meinung, dass laut Patanjali echtes Yoga „Still sitzen sei und keine bewegte Asana beinhaltet“, stützt? Ich glaube, dass du damit wohl das Dritte der Acht Glieder des Raja Yoga meinst. Abgesehen davon, dass es noch sieben weitere Glieder gibt, beschreibt Patanjali schon in seiner zweiten Sutra Yoga mit den Worten „Yoga ist das Zur-Ruhe-Bringen der Gedanken im Geist.“. Diese Grundlagenschrift beschäftigt sich also hauptsächlich damit, diese Ruhe und diesen Frieden in uns zu erreichen. Dabei sind die 8 Glieder nur ein Konzept von vielen. Will man sich auf andere Grundlagenwerke berufen, um den „echten“ Yoga möglichst nachvollziehen zu können, beruft man sich wohl auf die Upanishaden, Vedanta, Gita, Samkhya Philosophie. All diese Schriften, für deren Verständnis man nicht unbedingt „religiös“ sein muss oder einen Guru braucht, sind zeitlos und auf absolut JEDE Gesellschaftsepoche übertragbar, v.a. auf das Jahr 2017! Man muss eben nur wissen wie. Die 5 Geisteszustände, die Yamas und Niyamas, die Instrumente des Geistes, die Koshas, die Frage nach dem eigenen Dharma, wie und warum all diese Achtsamkeits- u. Meditationsübungen: Ich weiß nicht, wie es euch damit geht, aber mir persönlich täte es sehr leid, wenn ein Aspirant über Jahre bei mir Asanas praktiziert, angesichts seiner Lebensumstände aber noch mehr aus dem Yoga gut gebrauchen könnte, von mir aber kaum bis gar nichts von diesem umfassenden „Coachingsystem Yoga“ erfährt.

    Und gewiss, Asanas sind ein wichtiger Baustein! Daher auch die Hatha Yoga Pradipika, die dem Raja Yoga aber dieselbe Bedeutung beimisst! Korrekte Körperhalten, Anatomiekenntnisse sind wichtig, wie du schreibst. Und auch ich halte es als verantwortungslos, wenn ein Yogalehrer dazu keine Ahnung hat! Aber gerade im „Europa des Jahres 2017“ (was meinst du genau damit?), in einer Zeit des Leistungsdenkens, der Identifikation mit dem materiellen und körperlichen, in einer Zeit, in der die Gesellschaft von psychosomatischen Krankheiten geradezu überschwemmt wird (nicht jeder kommt zum Yoga wegen Hüftproblemen), sollte meiner Meinung der geistige Part im Yoga stets mitschwingen. Wenn der geistige Teil überhaupt nicht oder nur oberflächlich mitschwingt, dann wird eben ein stark reduzierter Yoga bzw. eine Art von Gymnastik angeboten.

    Wenn bei einem Lehrer aber der geistige Part sehr wichtig ist, hat das weder mit Arroganz, noch Sektiererei oder Gurutum zu tun (wie du schreibst??). Ich betrachte es auch nicht als „fahrlässig“, wenn Körperkunde im 21.Jhdt. eben nicht vorrangig ist (zumal das immer von den geistigen und körperlichen Voraussetzungen des Schülers abhängt). Deine „Etikettierungen“ sind hier sehr hart insofern, weil die MEISTEN Lehrer, denen der spirituelle bzw. geistige Part ein großes Anliegen ist, dies vielleicht nur aus Liebe oder aus einer Sehnsucht nach einer friedlicheren Welt heraustun. Du hast diese Sehnsucht bestimmt auch, nur unterscheiden sich eben die Mittel.

    Du schreibst, dass Dein Yoga „frei von Urteilen, frei von mir-besser-vorkommen“ ist. Ist das so? Ich kann das leider von mir selbst nicht behaupten. Ich glaube, dass du mit mir übereinstimmst, dass ein gesellschaftlicher Wandel angesichts des vielen vermeidbaren Leids auf dieser Welt sehr groß ist. Will man diesbzgl. Mitwirken, ist das auch zwangsläufig mit Bewertungen verbunden: Wenn Unrecht geschieht, kann man darüber Schweigen, oder eben auch auf den Tisch hauen. Dass dann die betroffene Person, die sich beurteilt sieht, angegriffen fühlt, liegt in der Natur der Sache. Wie viele hunderttausende Menschen hat ein Martin Luther King in ihrem Ego verletzt (um ein Extrembeispiel anzuführen)?

    Du schreibst vom „Hauptzweck des österr. Yogaunterrichts.“? Was genau meinst du damit? Kann man das überhaupt Verallgemeinern? Und du schreibst, dass „keiner der menschen, die ich bisher unterrichten durfte, aus spirituellen gründen beim yoga war.“ Das ist DEINE Erfahrung bzw. Sichtweise. Es gibt aber auch andere. Vorsicht sei geboten beim Bau eines Weltbildes, dessen Material aus den persönlichen Erfahrungen, Konditionierungen, Zuneigungen und Abneigungen besteht!

    In diesem Kontext mach das Resonanzgesetz Sinn. Wir sehen sehr oft nur das, was wir sehen möchten und könne. „Gleiche dich der Frequenz der Realität an, die du möchtest, und du kreierst diese Realität.“, schreibt Einstein. Glaub mir: Es gibt sehr viele Aspiranten, die eben genau den geistigen, spirituellen Anteil im Yoga vermissen und diesen gezielt suchen, v.a. dann, wenn diese Suche erst einmal durch die Einstellung eines Lehrer „erweckt“ wurde. Es würde mich wirklich wundern, wenn du als Yogalehrerin derartige Aspiranten weder siehst noch kennst. Und es gibt natürlich auch viele, die ihre Yogapraxis entweder bewusst oder unbewusst (zB vom Yogalehrer konditioniert) auf das Körperliche reduzieren. Jeder Lehrer zieht also jene Schüler an, die genau zu ihm passen – und das ist gut so!! Aber ich bin der Meinung, dass ein Lehrer jenen Schülern, die vielleicht einen ganz anderen Unterricht suchen, die Türen öffnen können sollte. Hindurchgehen muss der Aspirant dann sowieso selbst.

    Ich hatte in meinem Unterricht z.B. schon Schüler, die am Ende des Unterrichtes mürrisch sagten, dass sie nur Asanas haben möchten und keine Meditation und keine Yogapsychologie. Diesen Schülern empfehle ich dann ganz offen, andere Yogastudios im Umkreis Wien auszuprobieren, wo vielleicht genau das geboten wird, was sie „momentan“ suchen oder „brauchen“ zu glauben. Der körperliche Part ist auch bei mir wichtig, aber er dominiert nicht die Grundschwingung des Unterrichtes. Guru? Sekte? Was hat das damit zu tun? Und ich glaube, dass du dich da irgendwie verlesen oder ich mich dumm ausgedrückt habe: Ich glaube keineswegs, dass Yoga „nur in Erleuchtung münden darf“ und ich möchte auch nicht „erleuchtet sein“, wie du schreibst. Und wenn es so wäre, würde ich darüber bestimmt nicht öffentlich diskutieren. Hier geht es um Yogaschüler.

    Und zum Abschluss noch zum Thema Fleisch, das dich offenbar persönlich berührt! Du hast recht mit der Aussage, dass Ahimsa (Gewaltfreiheit) unterschiedlich gedeutet werden kann.Und es stimmt in diesem Kontext, dass nirgends steht, dass man kein Fleisch essen darf. Es steht aber auch nirgends, dass man keine Menschen töten darf. Die Auslegung des Wortes „Ahimsa“ ist also relativ und hängt ganz vom Bewusstseins-, Wissens- u. Erfahrungsgrad des Einzelnen und des kulturellen Kontextes ab.

    Niemand kann in dieser dualen Welt gänzlich gewaltfrei leben, nicht einmal der konsequenteste Veganer. Aber es gibt riesige Qualitätsunterschiede. Je mehr man sich entsprechendes Zusammenhangwissen und Empathie aneignet, desto größer das Bewusstsein für diese Qualitätsunterschiede. Das klingt arrogant, aber nüchtern betrachtet, sich auf die Geschichte der Menschheit mit all ihren Bewusstseinswandel berufend, ist das einfach so. Wie hoch ist das Bewusstein einer Menschenmenge, die an einer öffentlichen Folterung ergötzt? Ziemlich nieder, würden die meisten sagen. Ist es arrogant, so etwas zu sagen?

    Für den einen ist es keine Gewalt, wenn er jemanden anlügt, für den anderen schon. Für den einen ist es keine Gewalt, wenn er seiner Frau Befehle erteilt, für den anderen schon. Für den einen ist es keine Gewalt, ein „Tier“ zu essen, für den anderen schon (für den Letzteren deshalb, weil es im Jahre 2017 längst gewaltfreiere, umweltfreundlichere, pflanzliche Alternativen zu genüge gibt).

    Wenn der Veganer Natur und Tiere retten möchte und deshalb bei Fleischessern zwangläufig anstoßen muss, ist er deshalb arrogant (wie du schreibst)? Wir genießen heute das Frauenwahlrecht nur deshalb, weil einst Frauen „in ihrer feministischen Arroganz“ auf die Straße lautstark für mehr Frauenrechte eingetreten sind und dafür auch mit Beschimpfungen der Unverbesserlichen konfrontiert wurden. Heute zählen Tierrechte eben auch zu jenen Themen, die zum Polarisieren verleiten, weil Emotionenen, Sehnsüchte, Egos, Traditionen, Gewohnheiten, Zuneigungen und Abneigungen in der Diskussionen vermischt werden. Es war schon immer so, dass die einen Windmühlen, die anderen Mauern in den Wind der Veränderung bauen. Die, die Windmühlen bauen, sind nicht unbedingt „arrogant“.

    Und Ayurveda „empfiehlt“ Fleisch? Und wenn es tatsächlich so wäre: Hätte das irgendeine Bedeutung für jemanden, der bis in jede einzelne Zelle seines Seins spürt, dass es irgendwie nicht stimmig ist, ein Kalb der liebenden Mutter zu entreißen und zu fressen, obwohl es im Supermarkt pflanzliche und deutlich umweltfreundlicherer Alternativen in Übermaß gibt? Fleisch hat im Ayurveda für den Yogi, der sein eigenes „Ahimsa“ ehrlich weiterentwickeln möchte, ungefähr so viel Bedeutung wie ein einziges Eselsohr in einem tausendseitigen Buch. Die meisten Ayurveda-Rezepte sind übrigens vegetarisch. Fleisch soll angeblich sehr gut zur Erdung sein, weshalb es „zugelassen“ wird. Wird es tatsächlich aktiv empfohlen, sogar in Wohlstandsländern, die „erdende“ pflanzliche Alternativen im Überfluss anbieten? Ich kann mich nur wiederholen: Der Mensch sieht, was er sehen möchte.

    Wir Menschen, angetrieben von unserer Chitta und unserem Ahamkara (Antahkarana-System), angetrieben von den Zuneigungen und Abneigungen in unserer Manomaya-Kosha (Koshas), angetrieben von geistiger Unruhe (Kshipta, Addhi), angetrieben von Unwissenheit (Avidya) und den daraus resultierenden Verhaltensmustern (Kleshas), können unsere Argumente immer schön so zurecht liegen, wie es gerade in unserem aktuellen aber sich stets wandelnden Resonanzkörper. Davor bin auch ich nicht gefeit. Auch ich habe meine Schattenseiten. Ich möchte diese auflösen, weshalb mich das Leben sehr intensiv mit dem umfassendsten Wissen über das Leben, genannt Yoga, konfrontiert. Und ich bin beileibe nicht alleine. Und deshalb – um den Kreis zu schließen – ist es wichtig, dass wir Yogalehrer jenen Aspiranten, die nach mehr als nur die Körperübung suchen, eine Tür öffnen können, anstatt sie nach unserem eigenen beschränkten Yogabild zu konditionieren. Und ich bleibe dabei: Unsere Gesellschaft hat bitter mehr Yogalehrer nötig, die Yoga als Coaching-System anstatt als Gymnastik mit ein bisschen Meditation kommunizieren.

    In diesem Sinne wünsche ich Dir und allen Lesern einen wunderbaren, lehrreichen, lichtvollen Lebensweg!

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