Das neue Jahr beginnt so, wie das alte aufgehört hat:
mit einem coronabedingten Lockdown.
Während der Weihnachtsfeiertage ist dieser zwar nicht unbedingt aufgefallen, weil man ohnehin viel mit der Familie zu Hause war, dennoch ist wohl allen klar:
2021 wird so anders nicht werden.
Auch manch anderes hat sich im neuen Jahr nicht geändert:
Etwa die Tatsache, dass die Yogaszene noch immer extrem unwissenschaftlich agiert, noch immer so tut, als wäre Covid-19 eh nur eine harmlose Grippe (die übrigens gar nicht so harmlos ist), und noch immer nur nach außen esoterisch-spirituell ist, während es hinter der Fassade genauso menschelt wie überall anders auch.
Und noch immer empfinde ich das in der Yoga-Community als weitaus nerviger als im restlichen Leben, weil der Gegensatz zwischen der vermeintlich liebevollen und spirituellen Haltung und dem ganz normalen Ego, das wir alle in uns tragen, hier viel krasser erscheint.
Ein Beispiel gefällig?
Jemand schimpft in einer Yogagruppe auf Facebook über die Corona-Verordnungen der Regierung, die natürlich komplett lächerlich sind, weil Yoga stärkt ja das Immunsystem, und das gemeinsame Atmen ist superstärkend für die Lunge, wen interessieren schon Aerosole. Gemeinsam können wir dieses Virus (das es ja vielleicht eh nicht gibt, wer weiß das schon, oder hat es schon mal jemand gesehen?) einfach wegmeditieren, die Virologen haben ja keine Ahnung, und außerdem gibt es wirksame Globuli gegen diese Erkrankung, die eigentlich eh nur ein kleinerer Schnupfen ist. Die Maskenpflicht ist außerdem Körperverletzung, weil man die ganze Zeit die eigene Ausatmung wieder einatmet und dadurch das Gehirn schädigt, obwohl die Maske gleichzeitig nicht vor einer Ansteckung schützt, weil sie nicht dicht genug ist.
(Ich fasse hier zusammen, was ich in den letzten Wochen alles lesen musste, Zitate wie immer kursiv.)
Obwohl ich mir immer wieder vornehme, auf solchen Unsinn nicht mehr einzugehen (und deshalb so gut wie nie auf Facebook bin, weil es voll ist von Fake News und unwissenschaftlichem Unsinn), kann ich manchmal nicht anders: Ich muss antworten.
Irgendjemand muss doch dagegenreden, oder?
Ich mach das immer auf meine Art:
Leicht sarkastisch, aber nicht untergriffig, nett, aber dennoch klar –
und meistens frag ich nach, in welchem Modul des Yoga Teacher Trainings Virologie vorgekommen ist, da muss ich wohl gefehlt haben.
In den seltensten Fällen entwickelt sich eine Diskussion, meistens wird man als wissenschaftsinteressierte Yogalehrerin sofort persönlich angegriffen und bekommt böse Nachrichten (die ich dann nicht mehr so nett beantworte) –
die boshaftesten Nachrichten kommen übrigens immer von denen, die sich nach außen hin am Spirituellsten darstellen.
Die Yogawelt ist eben genauso eine Scheinwelt wie alle anderen –
hier fällt es nur oft nicht so auf, weil es niemand wirklich sehen will.
Für 2021 habe ich mir deshalb vorgenommen, mich noch mehr als bisher von dieser scheinheiligen Blase fernzuhalten und weiterhin so zu agieren, dass ich mich abends noch im Spiegel anschauen kann –
und dass ich sowohl mich als auch meine älteren Yogi*nis vor einer Ansteckung mit dem Virus schütze.
Und ich möchte jenen, die hier mitlesen und mir nach diesem Beitrag wieder böse Nachrichten schicken, ein paar Dinge mit auf den Weg geben:
– Im Yoga geht’s um das Innen, wir richten unsere Aufmerksamkeit weg vom Außen.
Ich weiß, dass das nahezu unmöglich ist in unserer modernen Welt, und dass es – wenn überhaupt – nur in wenigen Augenblicken auf der Yogamatte (oder einer Bergspitze) gelingen kann, ich maße mir auch nicht an, so zu tun, als könnte ich das, nur nach innen zu blicken und das Außen einfach nur wahrzunehmen –
und ich rate das auch allen anderen Yogaunterrichtenden: Gesteht euch ein, dass auch ihr nur Menschen seid, mit allen Fehlern, die Menschen nun mal so haben. Niemand von uns ist ein echter Yogi, das wäre im Mitteleuropa des Jahres 2021 auch gar nicht möglich –
und ganz ehrlich: Ich möchte das auch gar nicht, viel zu sehr würde ich das Leben, meine Familie, all das Wunderbare im Außen vermissen.
– Yoga kann extrem esoterisch sein, oder auch gar nicht.
Das kommt auf die eigene Persönlichkeit an, auf das, was man erreichen möchte. Es gibt zum Beispiel Dutzende wissenschaftliche Beweise für die Wirksamkeit der Meditation, dafür braucht man allerdings weder Mantras noch Mudras, und man muss auch keine indischen Urlaute chanten (man kann aber natürlich, wenn man möchte). Es gibt gute anatomische Gründe, während der Yogapraxis die Bandhas zu aktivieren, die esoterischen kann man einfach beiseite lassen. Und die Tatsache, dass ich nicht rein vegan lebe und geimpft bin, ändert nichts an meiner grundsätzlichen Yogapraxis.
Wir predigen im Yoga immer, dass wir nichts und niemanden beurteilen sollen (auch wenn das im Alltag weder möglich noch sinnvoll ist), und es ist großartig, wenn wir auf der Yogamatte sitzen und uns selbst einfach mal nicht mit Argusaugen beobachten, dennoch sind Beurteilungen wichtig: Etwa wenn es darum geht zu beurteilen, wie gefährlich ein neuer Virus ist, oder zu beurteilen, ob man als Yogalehrerin wirklich über das nötige Wissen verfügt, virologische Maßnahmen zu kritisieren.
– Was mir aber am wichtigsten ist, und damit möchte ich alle ansprechen, die sich in pseudowissenschaftlichen Kreisen herumtreiben und ihr oft gefährliches Unwissen auch verbreiten:
Wissenschaftliche Fakten sind nicht diskutierbar.
Viren gibt es, ganz egal, ob man sie sieht oder nicht, und ganz egal, ob das eigene Bauchgefühl das als stimmig empfindet, denn: Wissenschaftliche Fakten sind nicht immer logisch, der eigene Hausverstand reicht nicht aus für den wissenschaftlichen Diskurs. Ich lese gerne Bücher über Quantenphysik, über Quantenmechanik, ich beschäftige mich mit der Viele-Welten-Theorie und verehre Stephen Hawking (und neuerdings auch Florian Aigner, weil er Dinge so erklärt, dass man sie auch versteht, wenn man nur Kommunikationswissenschaft studiert hat) –
und ich habe erkennen müssen, dass viele Dinge, die uns umgeben und die wir oft nicht mal wahrnehmen, weit weg von logisch sind. Es reicht nicht, mal eben kurz in eine Thematik hineinzuspüren und dann eine Meinung dazu zu haben, sehr oft sollten wir uns auf die Expertise von (Überraschung!) Expert*innen verlassen. Und genau das haben wir verlernt.
Vielleicht tut es manchen weh zu erkennen, dass sie nicht alles wissen, aber das muss es nicht: Niemand kann alles wissen, dafür ist unsere Welt viel zu komplex. Genau deswegen gibt es Expert*innen auf verschiedenen Gebieten, wir müssen nur wieder lernen, diese zu erkennen und ihnen zu vertrauen.
Ich weiß zum Beispiel, wie Asanas aufgebaut sind und was sie für bestimmte Körperteile tun können, ich kann wunderbare Sauerteigbrote backen (weil das reine Chemie ist, und ich liebe Chemie), und ich weiß viel über Pressearbeit, Marketing und Kommunikation auf verschiedenen Ebenen –
aber ich habe nicht Medizin studiert, deshalb geh ich zum Arzt, wenn ich krank bin, ich bin keine Automechanikerin und keine Installateurin, deshalb vertraue ich auf Expert*innen, wenn das Auto oder die Wasserleitung kaputt sind, und ich bin keine Virologin, also maße ich mir auch keine Expertise in Sachen Viruserkrankung an.
Was ich mir vom Jahr 2021 wünsche?
Mehr Selbstreflexion, mehr Selbstkritik, mehr Vertrauen in die Wissenschaft und weniger pseudowissenschaftlichen Unsinn.
Geht das bitte, 2021?
Danke.
Ps.
Du suchst in den sozialen Medien nach echten Informationen? Dann schau doch zum Beispiel bei @pipettes.and.adventures oder @science_martin rein, da gibt’s verständliche Infos zu Corona und der Impfung. Auch wenn die faktenbasierten Posts in den sozialen Medien in der Unterzahl zu sein scheinen: Es gibt sie!
PPs.
Weil ich die ganze Corona-Sache wissenschaftlich angehe und deswegen nicht glaube, dass im Februar wieder Kurse starten werden, gibt’s auch weiterhin Online Yoga. So sehr ich mich auch auf meine Yogi*nis freue –
es wird noch dauern, bis wir uns wieder analog auf der Matte sehen werden.
Hat dies auf sinn.wort.spiel. rebloggt und kommentierte:
2021 ist da –
und trotzdem ist alles beim alten.
können wir es diesmal vielleicht besser machen, bitte?
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