Wie man Power in eine Yogastunde bringt – oder: Ist das überhaupt sinnvoll?

Meine Yogastunden laufen im Grunde genommen immer recht ähnlich ab:
Jede Stunde hat ein Thema, Körper oder Geist betreffend, um das herum ich die Einheit aufbaue. Fixer Bestandteil sind natürlich Atemübungen (Pranayama), Körperübungen (Asana) und eine kleine Meditation zu Beginn oder am Ende der Stunde.

Ich bereite jedes Mal eine Stunde vor, halte aber nicht immer genau diese –
manchmal kommen die Menschen in die Yogastunde und haben einen Wunsch, sowas wie Können wir heute Yoga für den Nacken machen? Solchen Wünschen komm ich dann natürlich gerne nach.
Gestern in der ersten Fortgeschrittenen-Stunde diesen Herbst kam der Wunsch nach ein bisschen mehr Power auf …
keine einfache Aufgabe in einer Yogastunde für Senior/innen, in der fortgeschritten nicht gleichbedeutend ist mit Power und Zirkus-Asanas.
Und genau dieser Umstand hat mich dann abends ins Grübeln gebracht.

Fortgeschritten bedeutet im körperlichen Yoga vor allem, dass man die Asanas genauer und sicherer ausführt, dass man sich vom Atem leiten lässt und nicht den Übungen hinterherhechelt, es bedeutet, dass der Fokus der Asanas auf der eigenen Ausrichtung und dem ruhigen Geist in der Haltung liegt, nicht darauf, wie lange man die Haltung einnehmen kann oder wie viel man schwitzt.
Manchmal schwitzt man beim Yoga nämlich gar nicht:

https://www.instagram.com/p/B2Wi24zoFFM/

Ich hab das gestern spontan so gelöst, dass ich zwischen den Haltungen Vinyasas eingebaut hab, Variationen des Sonnengrußes, die nur jene mitgemacht haben, die schwitzen wollten –
aber nach dem dritten Vinyasa war mir klar:
Eigentlich möchte ich das so nicht machen und werde es auch nicht mehr tun. 

Vinyasas sind anstrengend, man kommt damit ins Schwitzen, das stimmt.
Die übermäßige Anstrengung hat aber den Nebeneffekt, dass sich die Aufmerksamkeit in den Asanas verschlechtert, wenn man das nicht gewohnt ist, die Ausrichtung wird schlechter, die Haltung irgendwie müder.
Klar –
gerade wiederholtes Chaturanga Dandasana ist fordernd und lässt den Körper schneller müde werden.

Diesen Effekt hab ich auch gestern beobachtet, die Vinyasas dann beendet und andere, etwas anspruchsvollere Asanas eingebaut, immer mit leichteren Variationen –
denn gerade in Yogastunden für ältere Menschen ist nichts so wichtig wie die korrekte Ausrichtung, immerhin bringt jede/r ein Thema mit, das berücksichtigt werden muss.

An der korrekten Haltung muss ohnehin jede/r arbeiten, auch wir Yogalehrer/innen, denn:
Yoga ist ein Pfad, den wir ein Leben lang beschreiten.

Für die kommende Fortgeschrittenen-Stunde hab ich mir deshalb vorgenommen, den Fokus wieder mehr auf die Ausrichtung zu legen, weg von der Extraportion Power
damit steigt einerseits der gesundheitliche Nutzen, andererseits braucht man dafür echte Power, denn wer Utthita Hasta Padangusthasana korrekt ausführen möchte, kann das nur mit voller Kraft und ruhigem Geist.

Es war zwar wirklich toll zu sehen, wie viele meiner Yogi/nis den Sonnengruß können und das selbst nie gedacht hätten – und so ein Erfolgserlebnis ist natürlich klasse –, aber ich hab gestern, wie in vielen Power-Yoga-Stunden zuvor, bemerkt, dass die Ruhe und die korrekte Ausführung der Asanas leidet, wenn es zu viel um Kraft geht.
Das ist auch bei jüngeren Yogi/nis so –
und genau aus diesem Grund bin ich kein Fan von Power-Yoga.

Denn es gilt zu bedenken:
Das Schwierige an Yoga ist nicht, die jeweilige Haltung einzunehmen, sondern diese korrekt einzunehmen, korrekt einige Atemzüge lang zu halten, mit aktiven Bandhas, kontrolliertem Atem, ruhigem Geist –
und die Asana ebenso wieder zu verlassen.

Ein Bein hoch in den Baum zu drücken, mit angehaltenem Atem drei Sekunden zu wackeln und dann umzufallen, das mag leicht sein, Yoga ist es aber nicht.
Ein Bein nur an die Wade zu stellen, mit aktivem Körper, sanft und leicht, und diese Haltung dann einige Atemzüge lang zu halten, um danach achtsam wieder aus der Haltung zu kommen, das kann viel schwieriger und anstrengender sein –
und es ist echtes Yoga, denn:

Es führt uns langsam hin zu jener Baum-Haltung, die wir kennen, am Anfang des Yogaweges aber vielleicht noch nicht können.

https://www.instagram.com/p/B2WO6m8oNtM/

Yoga hat viel mit dem Geist zu tun, damit, weniger zu wollen oder zu müssen und mehr zu schauen, was ist
und dieses dann als gegeben anzunehmen.
Deswegen ist ja auch Yoga und nicht Turnen.

Ich als Yogalehrerin möchte meine Yogi/nis auf ihrer Yoga-Reise begleiten –
und vielleicht muss ich dazu auch manchmal bremsen, anstatt zu ermutigen.

In diesem Sinne:
Frohes Yoga.

#Namaste